Schmidt Mária

Der Fall Europas mit dem Torschlüssel

Ein Gespenst geht um in der Welt, das Gespenst des
kurzfristen Denkens.

Nach den acht Jahren, die zwischen der ersten und der zweiten Regierung Viktor Orbáns vergangen sind, hat sich unser Land zwischen völlig neuen Rahmenbedingungen wiedergefunden. Im Jahr 2004 sind wir gemeinsam mit neun anderen Partnerländern aus der Region der Europäischen Union beigetreten, womit ein Traum von vielen von uns Wirklichkeit geworden ist. Dabei haben wir auch freiwillig, sogar mit Freude auf eine Hälfte unserer frisch zurückgewonnenen Souveränität verzichtet, um daran teilhaben zu können, was die Union damals auch uns versprochen hat: Frieden und Wohlstand. Sicherheit, Berechenbarkeit und ein gutes Leben. Genau danach haben wir uns alle gesehnt.

Im Jahr 1990 war es uns nicht bewusst, da wir den dritten – als Kalten Krieg bezeichneten - Weltkrieg des zwanzigsten Jahrhunderts wieder auf der Seite des Verlierers beendet haben, dass wir auch dafür einen Preis bezahlen müssen. Genauso haben wir es nicht begriffen, dass - da die Europäische Union, ähnlich der NATO als Gleichgewicht zur sowjetischen Bedrohung und zum Friedenslager gegründet wurde, - durch den Zusammenbruch der Sowjetunion die Zukunft dieser beiden Organisationen in Frage gestellt wurde. Deshalb mussten sich diese Beiden eine neue Berufung suchen. Die Antwort der Union darauf war der Vertrag von Maastricht, das sich neben der Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit auch politische Ziele gesteckt hatte: nämlich den Aufbau einer Gemeinschaft, die sich auf die Werte stützt, die auf der gemeinsamen Identität und Kultur der europäischen Bürger beruht. All dies geschah zu einem Moment, an dem der Optimismus der westlichen Welt keine Grenzen kannte. Vom amerikanischen Fukuyama wurde über das Ende der Geschichte geschrieben, und eine Anzahl der Bürger und führenden Persönlichkeiten Europas haben sich Illusionen hingegeben, statt sich über die tatsächlichen Interessenverhältnisse der neuentstandenen einpoligen Weltordnung und des neuformierten Europas im Klaren zu sein.

Durch das Gewicht und die Wirtschaftskraft des wiedervereinigten Deutschlands hat sich aber schlussendlich doch alles verändert. Insbesondere hat sich dies nach dem Beitritt der Mittel-Ost-Europäischen Länder gezeigt, durch den Deutschland eine zentrale Rolle in der Union erhalten hat. Die deutsche Wiedervereinigung wurde von den Siegern an zwei Bedingungen geknüpft. Die USA hat darauf bestanden, dass Deutschland Mitglied der NATO zu bleiben hat, bzw. darauf, dass NATO-Truppen nach wie vor auf deutschem Boden stationiert bleiben sollen, während die Franzosen die wirtschaftliche Übermacht, die sich in der westdeutschen Mark verkörperte, durch die Einführung einer gemeinsamen Währung, des Euros ausgleichen wollten. Die der Währungsunion und der Eurozone beigetretenen Länder haben freiwillig das wichtigste Element ihrer Souveränität der Brüsseler Zentrale, bzw. dem stärksten Mitgliedsstaat, nämlich Deutschland überlassen. Sie haben dabei nicht in Erwägung gezogen, dass dadurch die wirtschaftspolitische Leitung aus ihrer Hand gleitet. Allem Anschein nach haben Sie dabei die Warnung des Baron Rothschilds außer Acht gelassen: „Gebe mir die Macht über das Geld einer Nation, von da an wird es keine Rolle mehr spielen, wer dort die Gesetze macht.” (Mayer Rothschild)

Bis zum Jahr 2008 lief die Sache auch ganz gut. Im Sommer 2008 wurden von Peking monumentale Olympische Spiele veranstaltet, am 7. August hat Russland Georgien den Krieg erklärt, und am 15. September ist Lehmann Brothers kollabiert, womit die Weltwirtschaftskrise ihren Anfang nahm. Es war nicht zu verkennen, dass eine neue Ära angebrochen war. Die Wirtschaft Europas hat sich verlangsamt, eine Stagnation und eine schwerwiegende und dauerhafte Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen haben sich allgemein breit gemacht. Das Versprechen des Wohlstands wurde in Frage gestellt, und heute, im Rückblick auf die Kriege in Jugoslawien, im Kosovo bzw. in Georgien, sowie den seit nun einem Jahr andauernden Krieg zwischen Russland und der Ukraine direkt entlang unserer Grenzen, scheint sich unsere Hoffnung, dass in Europa nie wieder Krieg ausbrechen wird, ebenfalls zerschlagen zu haben.

In den Vereinigten Staaten, deren Sieg im Kalten Krieg uns zum Sieg über den Kommunismus und zum Zurückerhalt unserer nationalen Souveränität verholfen hat, wurde im Jahr 2008 in der Person von Barack Hussein Obama ein neuer Präsident gewählt, der neben der Bewältigung der schwerwiegenden Wirtschaftskrise seine Aufmerksamkeit insbesondere auf die Welt außerhalb Europas fokussierte. Er hat sich wegen China, dem Nahen Osten und wegen Afghanistan bemüht, mit Russland eine Übereinkunft zu erzielen, weshalb man die zu Lasten von Georgien erzielten territorialen Eroberungen ohne weiteres hingenommen hat. Seine Außenministerin Hillary Clinton, hat durch das Drücken des Reset-Knopfes zum Ausdruck gebracht, dass die Beziehungen zwischen den beiden Ländern in eine neue Phase treten können. Russland hat das chaotische Jahrzehnt unter Jelzin abgeschlossen, und ab dem Jahr 2000 Stabilität und Sicherheit, als Ziele auf seine Fahne geschrieben. Nach seinen militärischen Erfolgen hat es damit begonnen, seinen verlorenen Supermacht-Status, wenn auch nur teilweise, aber dennoch, wieder zurückzuerobern, und als ersten Schritt auf diesem Wege hat es seinen Anspruch auf die führende Rolle in der Region angemeldet. Die Russen haben im Jahr 2008 unter der Führung von Putin erfahren, dass Europa weder zu einer politischen, noch zu einer militärischen Antwort in der Lage ist, und darüber hinaus auch, dass die NATO eine lahme Ente ist. Mit seiner resoluten Unterstützung Georgiens blieb Orbán, der damals aus der Opposition heraus Politik gemacht hat, schließlich allein. Die heute lauthalsen anti-russischen Meinungsführer im In- und Ausland haben ihn damals aufgefordert, erst auf die Großen, vor allem auf die Deutschen zu warten, bevor er den Russen seine klare Meinung mitteile. Deutschland hat damals geschwiegen und England hat sich offen auf die Seite der Russen gestellt, während die von den Franzosen herausgehandelte Feuerpause von den Russen missachtet wurde. Obama hat seinerzeit eine eindeutige Botschaft an Europa gerichtet, die er seither mehrfach wiederholt hat, nämlich dass es höchste Zeit ist, dass Europa auf eigenen Beine stehe. Um seine Worte zu gebrauchen: Wir werden nicht anstelle derjenigen kämpfen, die nicht für ihre eigene Sicherheit kämpfen wollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Im Jahr 1990 wurde Deutschland wieder in die Karte Europas eingefügt, wobei im Jahr 2008 und dann im Jahr 2014 sich immer wieder auch Russland zu Wort gemeldet hat. Mit diesen beiden Staaten haben eine Reihe europäischer Länder eine Menge negativer Erfahrungen gemacht. Für beide gilt das Sprichwort: Sie sind nie so stark, wie wir befürchten, aber nie so schwach, wie sie erscheinen mögen. Wir haben sogar das enge Bündnis dieser Beiden erlebt. Deutschland versucht, unter Berufung auf seine Vergangenheit aus dem Hintergrund die Fäden zu ziehen, und mittels des Euros, bzw. seiner wirtschaftlichen Kraft den Kontinent zu steuern. Russland fordert unter Berufung auf die Vergangenheit in gleicher Weise eine Rolle in Europa, und übt über seine Gas- und Erdölvorräte seinen Einfluss aus. Deutschland ist ein exportorientiertes Land, wobei die Hälfte seines Außenhandels innerhalb der Union abgewickelt wird, das heißt, dass es mindestens genauso die Union benötigt, wie die Union Deutschland. Die deutsche Kanzlerin stellt stets den französischen Präsidenten neben sich, gibt Erklärungen ab und leitet Maßnahmen ein, wobei von ihr völlig nebulös gehalten wird, ob sie dies jeweils im eigenen Namen oder im Namen der Union tut. Dadurch behandelt und marginalisiert sie die führenden Persönlichkeiten der Union, von denen viele eher in der Unterhaltungsindustrie ihren Mann stehen könnten. All dies dient einem Zweck, nämlich dass die Deutschen verdecken können, wie gut es ihnen geht. Sie sind sich darüber völlig im Klaren, dass ein schwacher Reicher am gefährdetsten ist. Wobei Deutschland gleichzeitig sehr reich und sehr schwach ist. Die ständige Angst hat es geschwächt. Angst vor dem Leben und die Angst vor der Übernahme von Verantwortung. Sämtliche Energien Deutschlands werden durch wirtschaftliche Fragen gebunden, zum Beispiel durch das Managen der tagtäglichen Probleme der Eurozone sowie durch die Kontrolle der Erfüllung der auf die Krise als Antwort gegebenen zentralen Direktiven. (Selbstverständlich wird die Erfüllung nur bei den kleinen Ländern kontrolliert, im Falle der Franzosen bleibt diese aus.) Was man aber immer noch nicht sieht, ist, wie das Problemkonglomerat im Zusammenhang mit Griechenland gelöst werden könnte, das mit der gut bewährten Verschleppung der Zeit nicht mehr lange behandelt werden kann, und welche nicht nur die voraussichtliche wirtschaftliche Pleite zum Thema hat, sondern dass es vor allem um die Zukunft des Euros und dadurch der deutschen und europäischen Wirtschaftspolitik geht. Die Entscheidung, die man früher oder später fassen muss, wird eine Entscheidung politischer Natur sein. Diese wird mit politischen Konsequenzen verbunden sein.

Meine lieben Freunde,

Ist die Ordnung, die auf dem Sieg im zweiten Weltkrieg beruht, überhaupt noch in Kraft? Diese Frage wurde mit dramatischer Kraft durch die Militärparade am 9. Mai in Moskau aufgeworfen, die von den einstigen Alliierten boykottiert wurde. Diejenigen, die jedoch dort waren, waren China und Indien. Dies lässt darauf schließen, dass die Legitimation, die noch auf dem Sieg im zweiten Weltkrieg beruhte, heute im Schwinden begriffen ist. In die gleiche Richtung zielt auch die in Japan kürzlich initiierte Verfassungsänderung ab. Die japanische Verfassung wurde damals noch von der Besatzungsmacht Amerika verfasst, in der Japan untersagt wurde, eine eigene Armee zu unterhalten, was jetzt von der Regierung von Shinzo Abe abgeändert werden soll.

Seit den Wahlen im Jahr 2010 sollten die Regierungen von Viktor Orbán unter den vorstehend geschilderten völlig neuen Bedingungen den Platz Ungarns finden. Er hat verstehen müssen und verständlich machen müssen, dass die Zeit der Hegemonie der neoliberalen Wirtschaftspolitik vorbei ist, und der Westen für die Krise kein einheitliches und überall anwendbares Rezept besitzt. In den ersten Momenten der Krisenbewältigung hat sich auch herausgestellt, dass die Länder außerhalb der Eurozone mit weniger Solidarität von Seiten Europas zu rechnen haben. Wir haben auch gleich verstanden, dass die von den deutschen Wirtschaftsakteuren diktierte und geforderte Restriktionspolitik nicht in der Lage ist, ein Wachstum in Gang zu setzen, und uns nicht aus der Verschuldungsspirale heraushelfen wird. Es war eindeutig, dass wir nur auf uns selbst zählen können, und es unsere Aufgabe, ja sogar unsere Verpflichtung ist, einen Weg aus der Krise zu finden. Voraussetzung hierzu war das von den Wählern erhaltene Zweidrittel-Mandat, das eine riesige und mit niemandem zu teilende Verantwortung und gleichzeitige Gelegenheit geboten hat. Darauf gestützt konnte eine als unorthodox bezeichnete Wirtschaftspolitik in Gang gesetzt werden, deren Erfolg derzeit bereits für sich selbst spricht. Diese Wirtschaftspolitik hat darüber hinaus einen Präzedenzfall geschaffen, die Interessen derjeniger Wirtschaftsakteure geschadet hat, die seit viel zu langer Zeit sich daran gewöhnt hatten, dass man im „wilden Osten” so viel Extraprofit erwirtschaften kann, dass man sich noch nicht schämen muss. Und diese Wirtschaftsakteure neigen nicht zum Erröten. Die  Wirtschaftspolitik Orbáns war ein wahrhaftiges Zauberkunststück gewesen, und hat gleichzeitig Mut, Kreativität, Ausdauer, Geduld, Entschlossenheit und ein gutes Nervenkostüm erfordert. Der außenpolitische Bewegungsspielraum unseres Landes wurde jedoch von Anfang an durch den Aufwand eingeengt, den man aufwenden musste, um die starken Angriffe auf diese Wirtschaftspolitik abzuwehren. Dieser Bewegungsspielraum wurde durch das  - aus Sicht der Kommunikation unüberlegte und unvorbereitete - Mediengesetz weiter erschwert, das unsere Gegner mit Hilfe ihrer Freischärler unbarmherzig gegen uns verwendet haben. Ein Teil unserer linksliberalen Kolporteure neigt nämlich dazu, sich stets auf die Seite der reichen und mächtigen Ausländer zu stellen, wenn sich jemand entschlossen und mutig für die ungarischen Interessen stark macht. Von diesem Punkt an konnten sich diese – eigentlich ihre eigenen Interessen verteidigenden – Meinungssöldner und ihre Unions-Lobbyisten gegenüber uns als Beschützer der Pressefreiheit und der Demokratie hinstellen.

Nach 2010 mussten wir nicht nur in der Wirtschaftspolitik unseren eigenen Weg finden, sondern auch überlegen, welche Möglichkeiten uns die sich veränderte globale Welt eröffnen wird. Die Politik der östlichen Öffnung hat gleichzeitig Antworten auf den Umbruch des geopolitischen Kraftraumes in einen mehrpoligen Kraftraum, auf die Gesichtslosigkeit der Union in der Außenpolitik, bzw. auf das Platzen der gemeinsamen Energieprojekte gefunden. Die seither ziemlich unabhängig gewordenen ehemaligen Sowjet-Republiken rückten dabei in unser Blickfeld, und die Zuordnung der gegenseitigen Vorteile hat seinen Anfang genommen. Diese Anstrengung wurde von den linksliberalen Medien natürlich mit spöttischen Belehrungen quittiert, die dabei nicht versäumt haben, wegen dem Zustand der kasachischen Demokratie die ungarische Regierung zur Rechenschaft zu ziehen, – nichts wissend davon, welch gute, enge und vor allem einen schönen Ertrag bringende Beziehungen zum Beispiel Hillary Clinton und ihr Gatte, die sich um die ungarische Demokratie so große Sorgen macht, zum kasachischen Präsidenten pflegen. Unsere Außenpolitik, die die Notwendigkeit der regionalen Zusammenarbeit erkannt hat, konnte jedoch nicht durch die gut vorbereitete und deshalb so erfolgreiche Maßnahmenserie gestört werden, die dazu geführt hatte, dass mehrere hunderttausend Personen durch die Möglichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit einen ungarischen Pass erhalten konnten. Wir haben auch damit begonnen, China und die fernöstlichen kleinen Tigerstaaten mit anderen Augen zu betrachten, da sicherlich eine Menge von ihnen zu lernen gibt, und nebenbei noch fruchtbare Beziehungen zu diesen Nationen auszubauen. China hat sich mit enormer Kraft explosionsartig in den globalen Spielraum eingebracht, wobei seine Verwestlichung bereits eindeutig geworden ist, und gibt gleichzeitig ziemliche Lektionen auf. Heute wissen wir noch nicht, welche Rolle sich dieses neue China fordern wird, das in der Lage ist, die uralte chinesische und die moderne westliche Zivilisation zu vereinen, und sich gleichzeitig bemüht, seine Beziehungen zu Europa immer enger zu schnüren. Dass wir uns aber Gedanken über die Antwort auf diese Frage machen müssen, gilt mittlerweile als selbstredend.
Die Regierung Orbáns hat sich als innovative Regierung erwiesen. Sie hat ein ungarisches Modell ausgearbeitet und in die Praxis umgesetzt, das funktioniert und sich als erfolgreich erwiesen hat, was von den Wählern mit ihren Entscheidungen bereits mehrfach bestätigt wurde. Das ist eine riesige Sache. Viele zu bequem gewordene Wohlstandsländer kämpfen gerade mit diesem Problem, dass sie einfach unfähig geworden sind,  Erneuerungen einzuführen, und sich von Institutionen und Methoden nicht trennen können, die in der Vergangenheit funktioniert haben, die jedoch mit der Zeit veraltet sind. Die Elite dieser Länder würden vorrangige Platzierungen bei der Weltmeisterschaft der Wirklichkeitsablehnung erzielen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Das Wachen über den Status Quo, die Verschleppung von Entscheidungen und das Verschleppen von Konflikten mag von Zeit zu Zeit in der Tat erforderlich und eine gute Strategie sein, insbesondere, wenn so viele kontroverse Interessen in Übereinstimmung gebracht werden müssen, wie dies bei der Europäische Union der Fall ist. Aber genau, wie das Verschleppen seine Zeit hat, haben auch die entschlossenen Entscheidungen ihre eigene Zeit. Seit 2008 wurde von der Europäischen Union viel zu viel Zeit für die Aufrechterhaltung des Status Quo verwendet, und viel zu wenig für die Realisierung der erforderlichen Änderungen. Ihre Entscheidungsträger verhalten sich so, wie jemand, der deshalb nicht bereit ist zu glauben, dass sein Haus brennt, weil der Türschlüssel in seiner Hosentasche steckt. Die gemeinsamen Interessen und Ziele schwimmen immer nebulöser dahin. Die führenden Persönlichkeiten der Union halten sich zwar ständig in Bewegung, tummeln sich hier und verhandeln dort, dennoch machen sich für keine einzige Angelegenheit wirklich stark. Für die ungarischen Bürger hat sich in den letzten Jahren der Name Brüssel und Straßburg allmählich mit antiungarischen Beschimpfungen und Belehrungen sowie leeren Anschuldigungen und Lektionen über Demokratie verschmolzen. Es mag schon sein, dass die aufgehetzten Vertreter der europäischen Linksliberalen in diesen Hassminuten á la Orwell uns eigentlich fragen wollten, warum wir Orbán unterstützen. Wir haben aber ihre Fragen wie folgt vernommen: Liebt ihr Ungarn? Macht ihr euch für eure Heimat stark? Das immer mehr Lizenzen und Macht einfordernde, sich zum Disziplinieren anmaßende Brüssel löst hier bei uns und in Europa immer mehr Antipathie aus. Und das, obwohl wir ungarischen Patrioten daran interessiert sind, dass die Union erfolgreich bleibt. Dazu wären aber wesentlich weniger Belehrungen und Schulmeisterei erforderlich.

Wir sind auch an der Wiederbelebung der NATO interessiert. Insbesondere wegen dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine, und weil es keineswegs sicher ist, dass wir auch ohne starke Armeen in der Lage sein werden, den Frieden zu schützen. Die Ukraine ist ein wichtiger Nachbar, wir wissen, in welch aussichtsloser Lage dort Millionen leben, und Ungarn hat sich der Unabhängigkeit der Ukraine verpflichtet. Wir sehen aber, dass die Zukunft der Ukraine von einer neuen Vereinbarung zwischen den Großmächten abhängig ist. Dabei ist anzunehmen, dass die neue Umrisse annehmende amerikanische Außenpolitik gleich auf mehreren Gebieten mit ihrem russischen Partner zusammenarbeiten wird, zumindest darauf lässt der Besuch von Außenminister Kerry vor Kurzem in Sotschi schließen, bei dem ihn Präsident Putin, mit dem die westlichen Medien seit einiger Zeit die Rolle der diensthabenden Bösen besetzt haben, mehr als drei Stunden lang warten ließ. Das Schicksal der Ukraine wird in diesen globalen Zusammenhängen eingebettet geregelt.

Die wellenförmigen Verwerfungen in den russisch-amerikanischen und russisch-deutschen Beziehungen sollen uns eine Warnung dafür sein, uns für eine Außenpolitik, die auf Realpolitik beruht, auszusprechen, und den Sirenenstimmen nicht nachzugeben. Wir sollten zur Verwirklichung unserer Ziele möglichst viele, über eine identische Interessenlage verfügende Verbündete und Freunde gewinnen.

Europa benötigt Diskussionen ohne Tabuisierung. Und dies nicht nur über die Todesstrafe, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, und die Einwanderung, sondern auch über eine gemeinsame europäische Armee, über eine gemeinsame Außenpolitik, über die Grenzen Europas, über die Verschuldung Europas, über das Verhältnis des privaten und öffentlichen Eigentums, über die Energiesicherheit, das heißt über all die Fragen, die die Bürger in Europa beschäftigen. Wir sollten unsere Stimme wieder zurückerhalten, und unsere Fähigkeit zur Initiative zurückgewinnen, damit wir fähig werden, unser eigenes Schicksal zu formen. Wir haben schließlich erst vor 25 Jahren unsere Freiheit und Unabhängigkeit erneut zurückgewonnen.