Schmidt Mária

"Denkmӓlerlandschaft - Symblosche Ausdrucksformen politischen Willens in Ungarn" c. előadás Weimarban

„Dauerhafter als Erz führt´ ich ein Ehrenmal.“
Horaz  

Die Vorstellungswelt des Durchschnittsmenschen ist schwach entwickelt. Ohne sichtbare Symbole bemerkt er gar nichts, und vieles ist er ohne Symbole kaum in der Lage, zu begreifen.“
Walter Bagehot, 1867

„Häufig sind gerade jenen die größten Menschen einer Nation, die durch sie umgebracht werden.“
Renan

 

Am 23. Oktober des Jahres 1956 marschierten die ungarischen Revolutionäre zu dem auf der György Dózsa Straße protzenden, riesigen Stalindenkmal, um es umzustürzen.1  Von dem Symbol der über Ungarn herrschenden sowjetischen Besatzer und des verhassten kommunistischen Systems ließ man nur die Stiefel übrig, seine anderen Teile, darunter auch seinen Kopf, rollte die Masse durch die Innenstadt und zerbrach ihn in kleine Stücke. Der Aufmarschplatz, auf dem die kommunistische Staatsmacht ihre, die eigene Kraft betonenden Aufmärsche veranstaltete, benannte das ungarische Volk sofort in Stiefel Platz um. Am 19. Oktober 1956 gingen die Freiheitskämpfer auch mit einem anderen Denkmal auf die gleiche Weise um. Sie stießen auch das Denkmal des sowjetischen Soldaten um aus dem Skulpturenensemble des „Befreiungsmonuments” auf dem Gellért-Berg.2 Dieses letztere wurde vom Kádár-System später wieder zurückgestellt, damit es uns alle bis ans Ende der sowjetischen Besatzung an das schmerzliche Fehlen unserer nationalen Unabhängigkeit erinnere – und an die Realität, die durch die Rote Armee geschaffen worden war.
Meine lieben Freunde!

Die auf den öffentlichen Plätzen errichteten Denkmäler gehören, zusammen mit den Straßennamen zu jenen wichtigsten symbolischen Ausdrucksformen, mit deren Hilfe eine gegebene politische Gemeinschaft, ein gegebenes System sich an die breitesten Massen wenden kann. Diese Gemeinschaft kann jene ihrer Helden und Vorfahren benennen, vorstellen, und mit herausragender Bedeutung bekleiden, deren Vermächtnis sie in voller Verantwortung antritt, die sie als Beispiel vor die nationale, die politische Gemeinschaft hinstellt. Die Tatsache verrät sehr viel über die Wertewelt eines jeden Zeitalters, welche Repräsentation der öffentlichen Räume sie gestaltet. Wie auch jener Umstand, wenn dies nicht getan wird.

Die Ideologie der Ungarn über fünfundvierzig Jahre beherrschenden kommunistischen Diktatur hatte der Geschichte eine herausragende Bedeutung zugemessen. Ihre Legitimität begründete sie – abgesehen von dem Terror – auf jenes marxistisch-leninistische System der Dogmen, das sich auf die historische Notwendigkeit gründete. Das heißt mit anderen Worten darauf, dass die Geschichte selbst die Entlastung von, ja sogar die Bestätigung für all jene Verbrechen geben würde, die sie gegen ihre Heimat und ihre Mitmenschen begingen. Nach ihrem Glauben war die Geschichte eine derart in gerader Linie voranschreitende Bahn,. Da die Diktatur des Proletariats – und später der Sozialismus – dem Ziel die zum irdischen Paradies führt näher gekommen sei, als der von ihnen überholte Kapitalismus, legitimiere die Geschichte selbst ihre Taten. An diese Auffassung anpassend entfernten sie, nachdem sie an die Macht gekommen waren, all die Straßennamen und Denkmäler, die sie nicht als Bestandteil jenes Erbes betrachteten, das sie als annehmbar ansahen. So entfernten sie zum Beispiel das Denkmal von Graf Gyula Andrássy,3 einem der herausragendsten ungarischen Politiker aller Zeiten, des ersten ungarischen Ministerpräsidenten nach dem Ausgleich mit Österreich,4  dem späteren gemeinsamen Außenminister der Österreichisch-Ungarischen Monarchie5  von dem Kossuth Platz vor dem Parlament, während die nach ihm benannte Prachtstraße zunächst nach Stalin, dann nach der Ungarischen Jugend, später nach der Volksrepublik benannt wurde, damit sie dann heute erneut den Namen von Andrássy trage.6 

Nachdem die siegreiche antikommunistische Revolution und der nationale Unabhängigkeitskampf von 1989 gleichermaßen das unabhängige, freie und demokratische Ungarn erschaffen hatte, wurde es notwendig, dass die ungarische Nation ihre Selbstbestimmung auch über die Deutung und Wertung ihrer Vergangenheit zurückerlange. Hierzu war es unerlässlich notwendig, dass von den Straßennamen und den auf den öffentlichen Plätzen errichteten repräsentativen Denkmälern und Porträtskulpturen all jene entfernt wurden, die die Empfindlichkeit der ungarischen Nation verletzten. Eine der herzergreifendsten und symbolischsten Aktionen der revolutionären Tage, über die auch das Fernsehen immer und immer wieder berichtete, war jene, in deren Verlauf der bekannte 56-er Held, György Krassó,7 auf eine Leiter hinaufsteigend sich immer wieder anschickte, die nach einem der verhasstesten Kommunisten, dem im Laufe der Vergeltungen nach 1956 berüchtigt gewordenen Ferenc Münnich8  benannte Straße von diesem Namen zu säubern. Krassó benannte die Straße tagtäglich zurück in Nádor Straße.9  In den ersten Tagen hatte er den Namen von Münnich mit Isolierband überklebt und ein Straßenschild aus Kartonpapier mit der Aufschrift „Nádor utca” darunter angenagelt, das von den Behörden jedes Mal entfernt wurde. Er setzte dieses Überkleben und Übermalen so lange fort, bis schließlich die Behörden nachgaben, und die Straße ihren alten-neuen Namen wieder zurück gewann.

Die fünfundvierzig Jahre währende sowjetische Besatzung und die kommunistische Diktatur hat unsere öffentlichen Plätze mit Lenin-Skulpturen, Denkmälern der Arbeiterbewegung und der „Befreiung” zugepflastert. Unsere Straßen wurden nach solchen, von der kanonisierten Geschichte der Arbeiterklasse festgelegten sogenannten „Helden” und Ereignissen benannt, die durch keinerlei öffentlichen Konsens getragen wurden. Als Akt der bewussten Symbolersetzung platzierten sie an die Stelle von Andrássy die Skulptur von Attila József, den sie zum proletarischen Dichter degradierten und den sie, sich hierauf berufend, als den ihren eigenen Poeten ansahen. An den Platz von Graf István Tisza, des mehrmaligen ungarischen Ministerpräsidenten, stellten sie das Denkmal von dessen größtem Gegner, dem in der ungarischen Erinnerung als „roten Grafen”weiterlebenden Mihály Károlyi, der in den tragischsten Stunden der modernen ungarischen Geschichte, als das Land eine mit sicherer Hand führende, entschlossene Führerpersönlichkeit gebraucht hätte, um die Folgen des beschämenden Friedens von Trianon vermeiden zu können, eine wahrhaft traurige Rolle spielte. An Stelle des Denkmals der ungarischen Märtyrer setzten sie auf dem Platz der Märtyrer [Vértanúk tere] die Skulptur von Imre Nagy.


Vorschlag:
Kennzeichnend ist auch, dass die – nach der antikommunistischen Revolution von 1989 an die Macht zurückkehrenden – Postkommunisten im Jahre 1996 an Stelle des Denkmals der ungarischen Märtyrer auf dem Platz der Märtyrer (Vértanúk tere) die Skulptur von Imre Nagy setzten. Der 1958 ermordete ehemalige Ministerpräsident wurde nämlich durch seinen Tod zwar zum Helden der Revolution, gehört jedoch in Anbetracht seines Lebenslaufes ohne Zweifel zu den gnadenlosen Gestaltern der Diktatur.


Nach dem Untergang des Kommunismus wurde es unvermeidlich und notwendig, dass die Ungarn ihre öffentlichen Räume zurückerhielten, und auf diesen ihre eigenen Symbole anbringen konnten. Die die Repräsentation des untergegangenen Systems auf den öffentlichen Plätzen verkörpernden politischen Denkmäler wurden entfernt, die wichtigsten von ihnen in dem für diesen Zweck eingerichteten Statuenpark (1992) aufgestellt, wo ihre ursprüngliche Botschaft nicht mehr zur Geltung kommen kann.

Hiernach konnte die neu gegründete ungarische Demokratie sich dem Aspekt zuwenden, ihre symbolischen Botschaften mit Hilfe von auf den öffentlichen Plätzen aufgestellten Skulpturen, Denk- und Mahnmalen den breitesten Massen nahe zu bringen, um auch hierdurch zu verdeutlichen: Unsere nationale Gemeinschaft hat ihre öffentlichen Plätze erneut in Besitz genommen, die sie mit Schöpfungen bevölkern und für sich selbst heimisch machen kann, die ihren Traditionen und den von ihr gewählten Werten entsprechen. Im vergangenen Zeitraum wurden im Rahmen dieser Aufgabe unsere nationalen Traditionen, unsere herausragendsten historischen Persönlichkeiten und Ereignisse neu überdacht. In vielen Fällen kamen die während der fremden Besatzung und unter der kommunistischen Diktatur entfernten Kunstwerke wieder an ihre alte Stelle zurück, doch wurden auch zahlreiche neue Denkmäler, Skulpturen unserer Helden aufgestellt. Im Jahre 2000, zur erneuten Tausendjahreswende des Bestehens des ungarischen Staates, überantwortete es ebendieser ungarische Staat den Selbstverwaltungen, zu entscheiden, womit sie sich an die Staatsgründung erinnern wollen. An den meisten Orten errichteten die Selbstverwaltungen eine Gedenksäule, ein Denkmal oder ein Mahnmal, wozu sie über ihre eigenen Möglichkeiten hinaus auch staatliche Mittel erhalten konnten. Vielerorts wurde dem Gründer des ungarischen Staates, dem ersten ungarischen König, Stephan dem Heiligen ein Denkmal errichtet, viele errichteten auf ihren öffentlichen Plätzen christliche Symbole, das Kreuz, eine Marien-Statue, doch gab es auch Selbstverwaltungen in beträchtlicher Zahl, die das Andenken ihrer während des Kommunismus umgebrachten lokalen Helden verewigten. 

Die Gründung des Haus des Terrors Museums gehört ebenfalls in diese Reihe. Seine Aufgabe war es, ein Ort des nationalen Gedenkens, zu einem Museum, Ausstellungs- und Forschungsort zu werden. Auch die Fassade und die Ausgestaltung des Haus des Terrors Museum entspricht dieser mehrfachen Funktion. In ein breitgebautes, schwarzes Gesims eingerahmt präsentiert sich das berüchtigte Gebäude in der Andrássy Straße 60, das zuerst den ungarischen Nazis: den Pfeilkreuzlern, und unmittelbar danach, ab dem Januar des Jahres 1945 der kommunistischen Terrororganisation eine Heimstatt gab. Die Schatten des ins Gesims hineingeschnittenen Wortes „Terror” sowie die Symbole der Willkürherrschaft spiegeln sich bei Sonnenschein auf den in der symbolischen Farbe der kommunistischen Geheimpolizei ÁVÓ grau bemalten Wänden, und versinnbildlichen so den Verlust ihrer Kraft. Es sind nur noch gebrochene Schatten. Die Botschaft an die auf der Straße Vorbeigehenden lautet: Das Gebäude hat nunmehr keine Macht über sie, seine Geheimnisse sind aufgedeckt worden, ein jeder kann getrost eintreten und es selbst besichtigen. An der Fassade des Hauses gestalteten wir die „Wand der Helden”, Porträts in Augenhöhe, jedes in einem schwarzen Trauerrahmen, auf Porzellan fotografiert. Es sind allesamt Freiheitskämpfer, die während der brutalen Vergeltung nach 1956 hingerichtet wurden. An der Ecke des Gebäudes findet man die Aufschrift „Für Dich gestorben“ ,10 sowie eine Touchscreen-anlage mit den wichtigsten Informationen bezüglich der Märtyrer. Der das Museum betretende Besucher findet sich im Treppenhaus zwei Granitblöcken gegenüber, die an die Opfer erinnern. Der schwarze Granitblock, mit dem Davidstern erinnert an die Gräueltaten der Pfeilkreuzler, und der Granitblock mit dem roten Stern erinnert an die Opfer des kommunistischen Systems. Das Haus erfüllt also auch die Funktionen eines Denk- und Mahnmals. Am Gedenktag der Opfer des Kommunismus, am 25. Februar, und am 23. August, dem Jahrestag des Abschlusses des Stalin-Hitler Paktes, zum Jahrestag der 1956-er Revolution, am 23. Oktober, beziehungsweise am Trauertag ihrer Niederschlagung, am 4. November, am 16. April, dem Gedenktag der Opfer des Holocaust kommen ungarische Bürger hierher und legen Kerzen und Blumen der Erinnerung nieder.
 
In den vergangenen Jahren hat das Museum Haus des Terrors auch den öffentlichen Raum vor dem Museumsgebäude in Besitz genommen, als es zwei Denkmäler darauf aufstellte, beziehungsweise bei der Errichtung zweier anderer Denkmäler auch initiierend mitwirkte.
 
Vor dem Museum wurde das, den einst Europa in zwei Hälften teilenden Eisernen Vorhang symbolisierende Denkmal mit dem Titel „Eiserner Vorhang” errichtet. Der Eiserne Vorhang schnitt den Osten vom Westen ab. Er teilte Europa und die Welt. Er hat uns unsere Freiheit genommen. Er hat uns alle gefangen und in Furcht gehalten. Er hat uns erniedrigt. Schließlich haben wir ihn abgebaut. Der eiserne Vorhang hat hinsichtlich dessen, was sein Wesen war, niemals gelogen. Dies gehört zu den seltenen Momenten einer totalitären Diktatur, in der von morgens bis abends gelogen wurde, in der sie unsere Sprache bewusst verwässerten, die Wahrheit verlogen als Sünde hinstellten und die offensichtliche Sünde als Heldentat. Der „Eiserne Vorhang” hat aber nicht gelogen. Er war ein viele Kilometer langer Beweis dafür, dass sich die Diktatur nicht mit dem Besitz der Räume des Geistes zufrieden gab, sondern uns auch physisch besitzen wollte. Sie wollte verhindern, dass wir fliehen. Um Missverständnisse zu vermeiden, diese „chinesische Mauer“ des 20. Jahrhunderts war nicht dazu berufen, das Eindringen der Imperialisten aufzuhalten. Diese Mauer war gegen uns errichtet worden, die wir vom Anfang bis zum Ende die Gefangenen des Systems waren. Und da der Eiserne Vorhang mit der Geschichte des Kommunismus untrennbar verschmolzen war, verband sich mit seiner Entfernung auch der Zusammenbruch des Kommunismus. Uns Ungarn kam in dieser Geschichte eine sonderbare und zugleich erhebende Rolle zu, die wir nicht vergessen dürfen. Der Eiserne Vorhang, die Berliner Mauer, die den Osten vom Westen trennenden Grenzsperren, Stacheldrahtzäune, Minenfelder, elektronische Warn- und Signalsysteme verhinderten nicht nur, dass die hinter sie eingesperrten Menschen frei verkehren, einander treffen durften, sondern auch die Möglichkeit des Nachdenkens über eine gemeinsame Zukunft.

Auf das Denkmal des Eisernen Vorhanges haben wir aus dem Grunde den Vers von Petőfi geschrieben, weil wir auch in dieser Hinsicht auf diese Frage eine Antwort geben mussten: „Wollt ihr frei sein oder Knechte?”11  Hierüber haben wir entschieden. Und wir wollten frei sein. Wir haben die Freiheit gewählt und damit das System verändert. Weil die Diktatur, die sowjetische Herrschaft und der Kommunismus mit der Freiheit unvereinbar sind.

Das Denkmal des Künstlers und Kossuth-Preisträgers Attila F. Kovács erinnert uns daran, dass wir Ungarn es gewesen waren, die den Eisernen Vorhang, der den Osten von dem Westen abgeschnitten hatte, abbauten. Den Vorhang, der Europa und die Welt in zwei Teile teilte. Der uns unsere Freiheit genommen, der uns in Gefangenschaft und Angst gehalten, der uns alle gefoltert und erniedrigt hatte. Und den wir schließlich abgebaut haben.

Die von den riesigen T-förmigen Traversen durch ihr eigenes Gewicht herunterhängenden Eisenketten beschwören die wortwörtliche, die wirkliche, aber auch die abstrakte Deutung des Eisernen Vorhangs. Selbst der hellste Augustsonnenschein dringt kaum durch das Monstrum hindurch. Der Eiserne Vorhang war in der Vorstellung der Menschen und vor allem in jener der im Westen Lebenden kein Stacheldrahtzaun, sondern eine massive, undurchdringliche, verrostete Eisenmauer mit Vernietung, die in der Wirklichkeit nur wenige mit ihren eigenen Augen gesehen hatten und deshalb äußerlich sich eher wie einen Eisernen Vorhang, wie es ihn im Theater gibt, als denn einen Drahtzaun vorstellten – wie dies auch zeitgenössische Karikaturen bezeugen. Im Laufe der Arbeit am Entwurf für das Denkmal war es die Vorstellung des Künstlers – Attila F. Kovács –, nicht den aus echtem Stacheldraht angefertigten Eisernen Vorhang oder ein Detail dessen zu beschwören, sondern irgendeine materialisierte Essenz dessen, was im Bewusstsein der Menschen der Eiserne Vorhang bedeutete, bedeutet haben mochte. Er wollte keinen Stacheldraht benutzen, da dessen Symbolik heutzutage ja überhaupt eher mit den Konzentrationslagern verbunden werden kann, wenn auch die echten Grenzsperren hieraus bestanden hatten, und es ist vielleicht auch kein Zufall, dass dieser Stacheldraht lagerartig den Osten vom Westen trennte. Der Künstler erachtete die Eisenkette als am geeignetesten dafür, um das auszudrücken, was auch er selber von dem Eisernen Vorhang dachte, mit den, wie er berichtet, 13 zurückgewiesenen Anträgen auf einen Pass in der Tasche. Die Eisenkette, deren brutales physikalisches Erscheinungsbild und deren symbolische Bedeutung sie gleichermaßen dazu geeignet machen, das nur schwer beschreibbare Gefühl der Eingeschlossenheit in das Land sowohl im Bewusstsein als auch in rein physischer Weise zu versinnbildlichen.12

Über 40 Jahre stand der Eiserne Vorhang. Nach seinem Abbau folgte die Berliner Mauer. Ungarn hat nicht wenig mit den gesellschaftlichen Veränderungen zu tun, deshalb war es eine sehr bewusste Tat, ein Stück der Berliner Mauer zu bekommen und diese neben das „Eiserne Vorhang Denkmal” aufzustellen. So wie den Eisernen Vorhang, ebenso hat das sich nach Freiheit sehnende deutsche Volk auch die Berliner Mauer ohne Blutvergießen, mit der Kraft der Worte und des Willens umgestürzt. Kaum dass eines der verhasstesten Symbole der Geschichte des 20. Jahrhunderts vernichtet worden und der Kommunismus in seine Bestandteile zerfallen war, vereinigte sich das, was getrennt worden war. Vereinigtes Berlin, Deutschland und Europa. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, dass auf unserem Kontinent sich niemals wieder solch eine himmelschreiende Schande wiederholt, wie als ein angeschossener junger Deutscher am Fuße der Mauer über eine längere Zeit alleine seinen Todeskampf ausfocht, weil sich niemand ihm zu nähern traute.

Das vor dem Museum stehende Fragment aus Stahlbeton ist also verblüffend reich an Bedeutungsfeldern. Die beinahe dreißig Jahre währende Existenz der Mauer gehört bereits der Vergangenheit an, so gleichermaßen die an eine Experimentierbühne erinnernde Atmosphäre in- und außerhalb der Mauer, die Grenztruppen, die auf die östliche Mauer blickenden eingemauerten Fenster und Türen, das monotone Grau, die unendliche Linie des Stacheldrahtes, der als unveränderbar angenommene Zustand. Doch ihre historische Dimension wirkt bis auf den heutigen Tag und ihre Konsequenz kann auch im als einheitlich angenommenen oder vermuteten Europa nicht umgangen werden.13

Im Auftrag der Selbstverwaltung des Budapester XVIII. Stadtbezirkes fertigte die Künstlergarde des Haus des Terrors Museum das 1956-er Pestszentlőrincer Denkmal an. Der Künstler war auch in diesem Fall Atilla F. Kovács. Das einen riesigen Steinblock – seine Höhe beträgt 494 cm – formende Denkmal besteht aus kleinen Basaltwürfeln – jeweils mit den Maßen 18x18 cm –, wobei auf jedem einzelnen Basaltstein der Name eines der 56-er Märtyrer zu lesen steht, womit insgesamt die Namen von 2.393 Opfern in Stein gemeißelt worden sind. Die Steinwürfel sind nicht ausgefugt, ihr Erscheinungsbild erweckt den Eindruck, sie seien trocken aufeinander aufgeschichtet worden. In Richtung der Nagyenyed Straße, auf der Seite der Hauptansicht des Monuments, erscheint die Jahreszahl 1956, indem die Elemente der Verkleidung zurücktreten. Auf der anderen Seite des Denkmals erscheint – in der Realisierung mit der gleichen Technik – andeutungsweise die Silhouette des im Jahre 1935 auf dem Platz aufgestellten Fadrusz-Kreuzes. Bei festlichen Anlässen brennen oben auf der Komposition ungefähr 1 Meter hohe Flammen.

Das Denkmal ist über die Namen und das Geburts- sowie Todesjahr der Opfer hinaus auch online auf einer Homepage im Internet zu erreichen, wo dank der Forschungen des Haus des Terrors Museum auch die Fotos und die Lebensgeschichte der Opfer den Besuchern zugänglich gemacht worden sind. Um das Denkmal herum sind Kirschpflaumenbäume gepflanzt worden.

Angesichts Ungarns neuzeitlicher Geschichte, welche durch jahrzehntelange Tabuthemen, Verklärungs- und Fälschungsdelikten gekennzeichnet ist, sowie durch die einfache Tatsache, dass sich die geistigen Spuren totalitärer Systeme nur äusserst langsam abbauen lassen, ist es ein gewaltiger Weg, den Ungarn seit 1989 hinter sich gelassen hat. Im Sinne des römischen Dichters ist es ein Weg auf der Suche nach Werten, nach symbolischen Leistungen, die dauerhafter sind als Erz. Langsam aber unaufhaltbar kehren auch wir in Ungarn zu den Grundsteinen der menschlichen Existenz zurück. Was bleibt, ist immer dasselbe: Opfer, Helden, Trauer,  Liebe und Stolz.

1.  Die 8 Meter hohe Skulptur von Sándor Mikus, die auf einem beinahe 2 Meter hohen Postament stand, war am 16. Dezember 1951 enthüllt worden. Die Reliefs auf dem Postament waren bis zum März des Jahres 1953 fertig geworden.
2.  Am 9. April 2003 brachte auch das irakische Volk die ungefähr 6 Meter hohe, mit erhobenem Arm stehende Statue von Saddam Hussein zum Umstürzen.
3.  1823-1890
4.  1867-1871
5.  1871-1879
6.   Die Budapester haben die Straße nie anders genannt als Andrássy Straße.  
7.  1932-1991. ’Er war wegen seiner Tätigkeit im Laufe der Revolution zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt worden.
8.  Ferenc Münnich bekleidete ab dem 4. November 1956 in der von János Kádár geführten Ungarischen Revolutionären Arbeiter- und Bauernregierung das Amt des Ministers der Streitkräfte und der Angelegenheiten der öffentlichen Sicherheit, , der so genannten „Arbeiterwacht” teil. Zwischen 1958 und 1961 war er Vorsitzender des Ministerrates. beziehungsweise das des stellvertretenden Ministerpräsidenten, und wurde am 11. November Mitglied des Zentralkomitees der USAP. Er nahm an der Organisierung der Bataillone der Ordnungskräfte und der bewaffneten KampftruppenDie Sowjetunion zeichnete ihn im Jahre 1967 mit der Lenin-Medaille aus. Nach seinem Tode trug bis ins Jahr 1989 eine Straße im V. Bezirk von Budapest seinen Namen. Seine Skulptur war die einzige, die im Laufe der Wende, des Systemwechsels umgestoßen und danach unvollständig in den Statuenpark transportiert wurde.
9.   Nádor  oder nádorispán auf Deutsch: Palatin, der Stellvertreter des Königs.
10.  Sándor Petőfi: EGY GONDOLAT BÁNT ENGEMET, Pest, 1846. december.
11.  „Rabok legyünk vagy szabadok?” Übersetzung von Martin Remané
12.  1949–1989, EISERNER VORHANG, „ Wollt ihr frei sein oder Knechte?”, ER VERSPERRTE DEN OSTEN VOM WESTEN, TEILTE EUROPA UND DIE WELT, NAHM UNS UNSERE FREIHEIT, HIELT UNS IN GEFANGENGENSCHAFT UND ANGST, FOLTERTE UND ERNIEDRIGTE UNS. SCHLIESSLICH HABEN WIR IHN ABGEBAUT.
13.  Segment der Berliner Mauer, Sie teilte eine Stadt, ein Land. Die Mauer schien unbezwingbar zu sein. Sie sammelte nicht nur Todesopfer, auch unsere Wirbelsäule wollte sie brechen. Sie verhinderte das Planen einer gemeinsamen Zukunft, deshalb rissen wir sie ab. Stifter des Mauerstückes ist die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, zum zwanzigsten Jahrestag der deutschen Einheit, 2010.